Im Klima-Endspiel gibt es keine Gewinner

Martin von Broock, Andreas Suchanek

In seiner „Earth for all“-Studie warnt der Club of Rome vor einer Zuspitzung der Klimakrise. Und mahnt: Gerade jetzt sollten wir uns mehr anstrengen. Gleichzeitig zwingt der russische Angriffskrieg zum Pragmatismus. Andere Stimmen warnen deshalb: Gerade jetzt können wir vielen nicht noch mehr zumuten. Dieses Dilemma ernüchtert – und spaltet. Worauf es ankommt: In jedem Fall eine „Endspiel-Dynamik“ zu vermeiden. Denn damit wäre die Idee der Nachhaltigkeit am Ende.

Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Wasserknappheit – immer mehr Menschen spüren die Effekte der Klimakrise immer unmittelbarer. Und die faktenbasierten Prognosen werden kritischer. Bereits im August hat ein internationales Team renommierter Forscher*innen auf die Risiken eines „Climate Endgame“ hingewiesen. Nun hat der Club of Rome mit seiner „Earth for all”-Studie nachgelegt. Demnach stehen wir an einem Scheideweg: Im positiven Szenario gelingt die Abwendung des Zusammenbruchs ganzer Regionen durch einen raschen gemeinsamen Kurswechsel. Im negativen Szenario scheitern wir an den Klimazielen. In der Folge verschärfen sich soziale Krisen, gesellschaftliche Spaltungen und Populismus. Bildlich gesprochen geht es also um die Alternative langfristige Fortsetzung des Spiels versus „Endspiel“.

Warum Endspiele „bedingt“ notwendig sind

Der Theologe James P. Carse hat dafür eine eingängige Unterscheidung geprägt: die Perspektive des endlichen Spiels und des unendlichen Spiels. Diese Unterscheidung ist weitreichend. Denn unsere Perspektive auf das Spiel bestimmt maßgeblich unsere konkreten Möglichkeiten, Probleme im Spiel zu lösen. Im endlichen Spiel verfolgen Menschen andere Strategien als in einem unendlichen Spiel: Im ersten Fall steht der kurzfristige Gewinn gegen andere im Vordergrund. Das betrifft insbesondere einzelne Wettbewerbssituationen – etwa ein sportliches Match, das Ringen um einen Auftrag, eine nationale Wahl oder eine internationale Verhandlung. Im unendlichen Spiel geht es darum, gemeinsam das Spielfeld zu erhalten: die Liga, den Markt, die Verfassung, das Klima. Heißt: Im unendlichen Spiel gewinnen oder verlieren langfristig alle zusammen.

Beide Spiele sind wichtig: Wettbewerbe mit Endspielen und der Aussicht auf Gewinne schaffen Anreize für Anstrengungen, Innovationen und Fortschritt. Allerdings nur dann, wenn sie Teil eines unendlichen Spiels sind. Erst die Aussicht auf den nächsten Wettbewerb lässt die Unterlegenen bei Wahlen, auf Märkten, in Turnieren oder Verhandlungen die eigene Niederlage akzeptieren. Denn es geht weiter! Dies unterscheidet wertschaffende Wettbewerbsprozesse von verlustreichen Schlachten. Die Einbettung der endlichen Spiele ins unendliche Spiel ist letztlich die Grundlage gesellschaftlicher Kooperation.

Nachhaltigkeit heißt: Gesellschaftliche Endspiele zu vermeiden

Unsere Zivilisation, unseren Fortschritt, unsere Lebensqualität verdanken wir deshalb der Einsicht, „als Gesellschaft“ keine Endspiele zu spielen. Erstens, weil niemand dauerhaft andere dominieren kann. Die Geschichte kennt weder Endsiege, noch ein Ende. Zweitens, weil wir – ob wir wollen oder nicht – unser Spielfeld und unsere Lebensgrundlagen nur gemeinsam erhalten können. Scheitern wir etwa am Klimaschutz, gibt es langfristig keine Gewinner, sondern nur Verlierer. Und drittens, weil die Lösung gesellschaftlicher Probleme stets gegenwärtige Anstrengungen erfordert, deren Erträge aber erst künftig sichtbar werden. Heißt: Jede Generation verdankt ihre Existenz den Investitionen der vorherigen Generation. Die Idee der Nachhaltigkeit bringt diese Einsichten auf den Punkt. Die Arbeit am Erhalt und der Fortentwicklung des gemeinsamen Spielfelds ist die Konsequenz.

Nun gibt es viele Entwicklungen, die immer mehr Menschen als gesellschaftliche Endspiel-Situation wahrnehmen. Wesentliche Treiber sind der Klimawandel, die eskalierenden geopolitischen Konflikte und die in der Folge weiter voranschreitende soziale Spaltung. Viele zweifeln inzwischen an der Lösbarkeit jener Herausforderungen. Stattdessen fragen sie sich: Wie erreichen oder erhalten wir in dieser Abwärtsspirale den „Gewinnerstatus“? Und übersehen dabei, dass sie jenen Status langfristig gegen eine zunehmende Zahl von Verlierern kaum absichern könnten. Denn die gesellschaftliche Spaltung nimmt nachweislich zu.

Nach Angaben der Business Coalition to tackle Inequality verfügen inzwischen die oberen 10 Prozent der Weltbevölkerung über 76 Prozent des Wohlstands und verursachen damit 48 Prozent aller Emissionen. Demgegenüber verfügen die unteren 50 Prozent der Weltbevölkerung über 2 Prozent des Wohlstands und verursachen damit 12 Prozent aller Emissionen. Mit der Pandemie ist die Schere weiter auseinandergegangen. Und auch die Härten des russischen Angriffskriegs treffen die Schwächsten am meisten. Wenn immer mehr Menschen immer weniger zu verlieren haben und keine gemeinsame Zukunft mehr erkennen, dann steigt das Risiko eines gesellschaftlichen Endspiels. Denn umso weniger werden jene Menschen bereit sein, das gemeinsame Spielfeld – allen voran Werte, Regeln und wechselseitige Rechte – noch anzuerkennen.

„Rette sich wer kann“ – die Dynamik von Endspielen

Das Kernproblem für die nachhaltige Transformation: Die Endspiel-Logik ist selbstverstärkend. Vermuten Menschen ein gesellschaftliches Endspiel, versuchen sie um jeden Preis für sich noch das Bestmögliche herauszuholen. Die Pandemie liefert zahlreiche Beispiele – vom Klopapier bis zum Impfstoff. Wer um jeden Preis im Endspiel gewinnen will, hat weder Anreize noch die Ressourcen, um in Vertrauen zu investieren – oder umgekehrt anderen zu vertrauen. Vertrauen ist allerdings die Basis der Zusammenarbeit im unendlichen Spiel. Ohne Vertrauen gibt es weniger gemeinsame Anstrengungen, weniger verlässliche Regeln, weniger Investitionen, weniger Innovationen. Und je weniger Investitionen ins gemeinsame Spielfeld erfolgen, umso mehr degeneriert der gewinnbringende Wettbewerb zum destruktiven Kampf, in dem Regeln und Fairness nichts mehr zählen. Unter diesen Bedingungen werden geteilte Probleme immer weniger lösbar.

Insofern ist es wichtig, dass der Club of Rome und andere Studien die Endspielperspektive aufzeigen. Nicht, um Alarmismus zu befördern. Sondern, um über bessere Lösungsstrategien zu informieren. Dazu gehören neben konkreten Maßnahmen auf der Spielzug- und Spielregelebene vor allem auch Investitionen in ein „unendliches“ Spielverständnis. Denn dieses entscheidet eben darüber, ob Menschen überhaupt zu Anstrengungen für eine bessere gemeinsame Zukunft bereit sind. Oder sich stattdessen abschotten, absichern, zurückziehen. Nationalismus, Protektionismus und Entsolidarisierung wären die Folgen.

Auf die Führung kommt es an!

Bei der Wahl ihrer Perspektive auf das Spiel orientieren sich die Menschen vor allem an Entscheider*innen. Gesellschaftlicher Wandel war immer dann erfolgreich, wenn Führungspersönlichkeiten die Menschen davon überzeugen konnten, eine vermeintliche Endspiel-Situation neu zu denken, anstatt einfach nur die Machtverhältnisse umzukehren. Ohne einen solchen Perspektivwechsel im Spielverständnis von endlichem auf unendliches Spiel wären etwa ein Ende der Apartheid, der Wiederaufbau Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg oder die europäische Integration kaum möglich gewesen. Ebenso gelingen Transformationsprozesse in Unternehmen und Organisationen nur mit einer gemeinsamen Zukunftsperspektive. Mindestens ist es aber Aufgabe guter Führung, gefährliche Endspiellogiken nicht selbst zu befördern. Denn prinzipiell sind Institutionen, Parteien, Organisationen und Unternehmen auf nachhaltigen Erfolg – und damit ein unendliches Spiel – angelegt. Dafür benötigen sie verlässliche Spielfelder.

Wenn wir die Idee der Nachhaltigkeit erhalten wollen, kommt es deshalb vor allem auf drei Einsichten an:

  1. Wir können – und müssen – die Perspektive auf das Spiel selbst wählen. Das ist die positive Botschaft. Und bei aller Härte der Fakten sollten wir uns schon aus Eigeninteresse für jene Alternative entscheiden, die uns langfristig am wenigsten schadet. Ein gesellschaftliches Endspiel können wir nicht gewinnen. Daraus folgt aber auch:
  2. Wir sollten uns keine Endspiele von anderen aufzwingen lassen. Das setzt freilich voraus, Angriffe auf das gemeinsame Spielfeld notfalls auch mit Härte zu verteidigen. Der entscheidende Unterschied zwischen Angriff und Verteidigung: Bei der Abwehr von gesellschaftlichen Endspielen geht es nicht darum, gegen andere zu gewinnen. Sondern vielmehr darum, andere für die Kooperation zu gewinnen, um nicht gemeinsam (!) zu verlieren. Der Klimawandel macht dies besonders deutlich. Für die Abwendung gegenseitiger Verluste ist aber noch ein dritter Punkt entscheidend:
  3. Wir müssen jenen, die sich im Endspiel „vermuten“, eine Teilhabeperspektive an der besseren Zukunft eröffnen, um sie ins unendliche Spiel (zurück) zu holen. Diesen Punkt heben neben dem Club of Rome viele weitere Studien als entscheidungskritisch für die Klimawende hervor. Hier liegt vermutlich die größte Herausforderung. Denn dies verlangt uns ab, Respekt und Stärke bzw. Kooperationsfähigkeit und Konfliktbereitschaft gleichzeitig zu denken. Und eben nicht entgegenzusetzen, wie dies derzeit in vielen Debatten geschieht.

Über die – sicherlich diskussionswürdigen – Maßnahmenvorschläge hinaus weist der Club of Rome auf eine grundsätzliche Voraussetzung für die nachhaltige Transformation hin: Die harten Fakten können wir nicht verändern. Wir können aber die Perspektive wählen, mit der wir uns ihnen stellen.

 

 

 

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