Martin von Broock, Andreas Suchanek
Der UN Global Compact hat dargelegt, welches der 17 Nachhaltigkeitsziele angesichts von Pandemie und Klimakrise besonders wichtig wird. Und: Warum zu dessen Erreichung gerade Unternehmen in ihrer Governance (Stichwort ESG) gefordert sind. Dabei geht es vor allem auch um Ethik. Wir zeigen an drei Punkten auf, worauf es in der praktischen Umsetzung ankommt. Und schließen damit unmittelbar an die aktuellen Diskussionen um Lobbying im Wahljahr an.
Am 31. Mai hat der UN Global Compact (UNGC) das “SDG 16 Business Framework to inspire transformational governance” veröffentlicht. Nachhaltigkeitsziel 16 umfasst Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen. Mit dem Rahmenwerk will der UNGC Ansatzpunkte aufzeigen, wie Unternehmen zu diesem Ziel beitragen können. Die Empfehlungen des UNGC haben in doppelter Hinsicht ethische Relevanz: Erstens, weil sie Unternehmen noch stärker in die Mitverantwortung für die Stabilität politischer, wirtschaftlicher und sozialer Systeme nehmen. Zweitens, weil sie hierfür explizit auf ethische Aspekte verweisen – Stichworte „Ethical Leadership“, „Culture of integrity“, „Ethics and Performance“. Wie können Unternehmen den daraus erwachsenden Erwartungen sinnvoll begegnen? Wir machen Vorschläge für unternehmerische Investitionen.
Keine erfolgreiche Wirtschaft ohne starke Institutionen
Zur Vorstellung des SDG 16 Frameworks sagte Sanda Ojiambo, CEO des UNGC: “The COVID-19 pandemic and converging crises - including climate change, economic uncertainty, social inequality and disinformation - have shown that businesses do not operate independently of wider society. Businesses can and must play their part in promoting ethical leadership and building trust between public and private institutions and civil society.” Diese Erwartung an Unternehmen spiegelt sich auch in Umfragen wie dem Edelman Trust Barometer wider. Jenseits der Ansprüche an Unternehmen gibt es indes gute Argumente, warum Beiträge zu SDG 16 auch im Interesse von Unternehmen liegen sollten: Erstens sind Frieden, Gerechtigkeit und stabile Institutionen eine Voraussetzung für die Existenz von Unternehmen. Innovationen, nachhaltige Wertschöpfung, fairer Wettbewerb und Gewinne erfordern einen verlässlichen Rechtsrahmen. Und der ist eben nicht einfach gegeben. Zweitens sind stabile Ordnungen zwingende Voraussetzung für erfolgreiche Transformationsprozesse. Denn gerade in Zeiten des Wandels brauchen Unternehmen verlässliche Orientierungen, an denen sie ihre Investitionen ausrichten und deren Chancen sowie Risiken abschätzen können.
Unternehmerische Governance als Ansatzpunkt
Heißt: Ohne starke Institutionen keine nachhaltige Wertschöpfung. Deshalb betont der UNGC die Bedeutung von SDG 16 als „Enabler“ für alle anderen Nachhaltigkeitsziele. Dies spiegelt sich bislang aber noch nicht im Engagement der Unternehmen wider. Nach einer internationalen Auswertung von 8.500 Unternehmen des Finanzanalysten MSCI liegt SDG 16 mit 371 nachgewiesenen Beiträgen gerade einmal auf Rang 13. Und: Nur bei 130 Unternehmen ließ sich ein „positives Alignment“ zu Frieden, Gerechtigkeit und starken Institutionen nachweisen. Bei 241 Unternehmen wurden dagegen sogar negative Effekte festgestellt.
Offenbar benötigen Unternehmen konkretere Ansatzpunkte für das eher weitgefasste SDG 16. Aus Sicht des UNGC liegt der Schlüssel in der Fortentwicklung unternehmerischer Governance-Prozesse. Denn diese bestimmen nicht nur, wie Unternehmen gesellschaftliche Anforderungen, etwa Klimaschutz, Verbraucherrechte oder Diversität, nach innen umsetzen. Governance-Standards beeinflussen auch, wie sich Unternehmen nach außen in die Verhandlung gesellschaftlicher Themen einbringen und damit gesellschaftliche Ordnung aktiv mitgestalten. Das betrifft vor allem die strategische Ausrichtung ihrer Lobby- und Kommunikationsaktivitäten. Das heißt: ihre Beiträge zur Entwicklung von „Spielregeln“ und „Spielverständnis“. Damit sind Governance-Prozesse die entscheidenden Hebel für nachhaltige Transformation in und durch Unternehmen. Deshalb gewinnt der „G-Faktor“ in der Bestimmung des gesellschaftlichen Beitrags von Unternehmen – sei es im Zuge des ESG-Reportings oder neuer Taxonomien wie jüngst vom World Economic Forum vorgelegt – zunehmende Bedeutung.
Beyond Risk Management: Die Bedeutung von Integritätskultur
Mit Blick auf SDG 16 wirbt der UNGC deshalb für ein erweitertes Verständnis von Corporate Governance: „Transformational governance is a principles-based philosophy – not a new legal concept – that calls on businesses to be more accountable, ethical, inclusive and transparent as a driver to responsible conduct, enhanced ESG performance and strengthened public institutions, laws and systems. This means fostering a culture of integrity, fairness and inclusion beyond legal formality - asking not just what is legal but what is right.” Heißt: Unternehmen sollen ergänzend zu regelbasierten, formalen Compliance-Systemen verstärkt in eine prinzipienbasierte, informelle Integritätskultur investieren. Diese Forderung ist nicht neu: Im Deutschen Corporate Governance Kodex wurde bereits mit der Neufassung im Jahr 2017 auf die Bedeutung ethischer Prinzipien für gute Unternehmensführung verwiesen.
Mehr als bloße Worte: Worauf es ankommt
Ethische Führung, Integritätskultur, legitimes Handeln – vermutlich gibt es wenige, die diesen Ansprüchen an eine „Transformational Governance“ grundsätzlich widersprechen würden. Allerdings reichen im Zuge der voranschreitenden ESG-Debatte allgemeine Wertekenntnisse und Purpose-Statements allein nicht mehr aus. Stattdessen sind handfeste und nachvollziehbare Investitionen gefragt. Die lassen sich aus unserer Sicht an drei Punkten festmachen:
(1) Woran orientiert sich ein Unternehmen in ethischen Fragen?
Wer ethische Kompetenz beansprucht, muss seinen ethischen Kompass offenlegen. Welche grundsätzliche Richtung wählt ein Unternehmen bei der Klärung von (Werte-)Konflikten und Dilemmata? Ein Kompass ist etwas anderes als ein Navigationssystem – er gibt gerade keinen konkreten Weg vor. Dennoch geht es um mehr als allgemeine Verweise auf wohlklingende Werte. Denn die sind eben oft nicht mehr als bloße Worte. Stattdessen muss erkennbar sein, was ein Wert in konkreten Situationen meint. Und vor allem: Welches Verhalten nicht mit ihm vereinbar ist. Je mehr solche Orientierungen von innen heraus mitgestaltet und nicht einfach von außen „übernommen“ werden, umso höher ist der Buy-in der Mitarbeiter*innen. Welche Anstrengungen kann ein Unternehmen hier nachweisen?
(2) In welchem Maße investiert ein Unternehmen in ethische Kompetenzen?
Eine Integritätskultur entsteht nicht allein über die Existenz eines Kompasses, Leitbildes oder Kodexes. Sie entwickelt sich durch Menschen, die jene Instrumente im Unternehmensalltag tatsächlich anwenden sollen und umsetzen können. Dafür sind Vorbildverhalten, Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit notwendig. Vor allem aber muss die Anwendung ethischer Instrumente analog zu anderen Kompetenzen trainiert und präsent gehalten werden. Oft wird eingewendet: Dabei gehe es doch um Selbstverständlichkeiten. Tatsächlich wird es immer anspruchsvoller, Werte im Unternehmensalltag zu leben. Umso mehr stellt sich die Frage: In welchem Umfang stellen Unternehmen Ressourcen für Schulungen und Reflexionsräume integren Handelns – jenseits des Tick-Boxing – bereit?
(3) Wie wird ethische Kompetenz in Entscheidungen sichtbar?
So wichtig der Nachweis eines Kompasses und der Kompetenzaufbau für unternehmerische Spielregeln und Spielverständnis sind – „entscheidend is‘ auf´m Platz“ (A. Preisler). Die Wahrnehmung ethischer Führung und unternehmerischer Integritätskultur hängt letztlich davon ab, in welchem Maße die eigenen Prinzipien in wichtigen Handlungen und Entscheidungen tatsächlich sichtbar und nachvollziehbar werden. Oder zugespitzter formuliert: ob einem Unternehmen die eigenen Werte tatsächlich etwas wert sind. Denn letztere müssen vor allem in Strategien und Prozessen erkennbar sein. Inwiefern werden etwa in Performance- und Vergütungssystemen „weiche“ Werte durch „harte“ Anreize unterstützt? Welches Führungsverhalten wird honoriert, was wird sanktioniert? Aber auch die Signale nach außen stehen zunehmend unter Beobachtung, wie das aktuelle Beispiel einer INSM-Kampagne zeigt: Welche Initiativen und Gemeinschaften unterstützt ein Unternehmen, wovon distanziert es sich? Inwiefern fördern oder behindern unternehmerische Lobbyaktivitäten den anständigen Wettstreit um gute Lösungen und mithin die Akzeptanz demokratischer Prozesse?
Zu Recht hebt der UNGC die Bedeutung unternehmerischer Beiträge für SDG 16 hervor: Unternehmen brauchen Ordnungen. Unternehmen übersetzen Ordnungen. Unternehmen beeinflussen Ordnungen. Dabei gilt: Jede Ordnung ist auf Voraussetzungen angewiesen, die sie selbst nicht garantieren kann (E.W. Böckenförde). Demokratien setzen stets auch einen hinreichend verantwortlichen Gebrauch gewährter Freiheiten voraus. Analog funktionieren unternehmerische Compliance-Systeme nicht ohne ein Mindestmaß an Integritätskultur. Umso wichtiger ist es, das Unternehmen dieser Ebene im Rahmen ihrer Governance mehr Beachtung schenken – zur Stärkung ihrer inneren und der gesellschaftlichen Ordnung.