Energiesparen? Digitale Innovationen statt politischer Appelle!

„Jede Kilowattstunde hilft“ – mit eindringlichen Mahnungen wie diesen fordert die Politik die Bürger*innen derzeit zum solidarischen Energiesparen auf. Unsere Analysen indes zeigen: solche moralischen Appelle an die Einzelnen helfen nur bedingt. Sollen setzt immer auch Können voraus. Umso wichtiger ist es, Menschen in ihrem Alltag auch zum Energiesparen zu befähigen.

Martin von Broock, Michael Walter, Stephan Muschick

Intelligente digitale Stromzähler, sogenannte Smart Meter, könnten eine Brücke zwischen „Sollen“ und „Können“ bauen. Durch Messung und Austausch von Energiedaten in Echtzeit schaffen sie mehr Transparenz im Energiesystem. Und: Sie sind die Grundlage für innovative Anwendungen, die gerade auch in Privathaushalten Stromverbräuche sichtbar machen und Einsparpotentiale aufzeigen.

Das Problem: Bislang liegt dort der Anteil der intelligenten Zähler noch immer unter einem Prozent. Mit der neuen Digitalstrategie hat sich die Regierung zwar vorgenommen, den bislang schleppenden Rollout erheblich zu beschleunigen. In den vorgeschlagenen Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz spielen digitale Innovationen aber praktisch keine Rolle.

Dabei eröffnet die Energiekrise gerade jetzt Chancen, die digitale Energiewende voranzutreiben. Es sind vor allem drei Faktoren, die Akzeptanz für Smart Meter bei den Bürger*innen positiv beeinflussen könnten:

Nachvollziehbarer Handlungsdruck: Die aktuell für alle erkennbar knappen Verfügbarkeiten von Energie sowie die damit verbundenen Preissteigerungen verleihen dem Thema Energieeinsparung eine neue Dringlichkeit. Die bisher vorherrschende Alltagsgewissheit: „Energie ist immer da, Strom kommt aus der Steckdose“ wankt. Dies führt dazu, dass Einsparpotentiale und die dafür notwendigen Aufwendungen neu bewertet werden. Heißt: Der Bedarf für eine digitale Energieinfrastruktur wird nachvollziehbarer. Die dafür notwendigen Verhaltensveränderungen, konkret: das Teilen von Energiedaten, erscheinen im Vergleich zu den Alternativen – mehr Knappheiten, höhere Kosten –  günstiger.  

Win-Win-Potentiale statt Verzicht: Digitale Tools helfen, das Thema Energiesparen über die „Zumutung“ des Verzichts hinaus zu denken. Stattdessen eröffnen sie Win-Win-Potentiale. Allein durch die digitale Vermeidung verschwendeter Energie ließen sich erhebliche Einsparpotentiale realisieren – mit Vorteilen für die Gemeinschaft (weniger Gesamtverbrauch) und die Einzelnen (weniger Kosten). Laut einer Bitkom-Studie haben digitale Technologien wie Smart Meter oder intelligente Thermostate ein Energieeinsparpotential von bis zu zehn Prozent in Wohnhäusern. Mit flexiblen Stromtarifen und der zeitlichen Verschiebung von Stromverbräuchen könnten Verbraucher*innen Geld sparen und zudem solidarisch zur effektiveren Nutzung des Stromnetzes beitragen. In der Folge ließen sich auch Gaskraftwerke einsparen, die bislang für Spitzenlasten genutzt werden. Und gerade mit Blick auf die angestrebten zehn Millionen Elektrofahrzeuge und sechs Millionen Wärmepumpen bis 2030 gewinnt das Thema netzdienlicher Verbrauch an Relevanz.

Mehr Fairness und soziale Teilhabe: Für die langfristige Energiesicherheit ist die kontrovers diskutierte befristete Nutzung alter Energien deutlich weniger entscheidend als der massive und rasche Ausbau erneuerbarer Energien. Dafür führt allerdings kein Weg an digitalen Infrastrukturen vorbei. Denn: Mehr Daten sind nicht nur zum technischen Lastenmanagement in einem zunehmend flexiblen und dezentralen nachhaltigen Energiesystem erforderlich. Sie sind vor allem auch die Grundlage für mehr soziale Teilhabe und eine fairere Verteilung von Erträgen und Belastungen im künftigen Energiesystem. Beispiele dafür sind durch digitale Technologien unterstützte lokale Bürgerenergiemodelle. Sie befähigen die Menschen, selbstbestimmter und selbstwirksamer an der Energiewende vor Ort teilzuhaben. Eine raschere digitale Energiewende würde somit auch die soziale Nachhaltigkeit fördern.

Diese Punkte können das Fundament bilden für ein besseres Narrativ für die digitale Energiewende: Gerade jetzt lässt sich Bürger*innen vermitteln, dass eine digitale Infrastruktur unverzichtbar für eine nachhaltige und insbesondere auch sichere und von Autokratien unabhängigere Energiezukunft ist. Darauf aufbauend müssten konkrete Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, um die Smart Meter schnellstmöglich in viele Haushalte zu bringen. Wie das besser geht, zeigen unter anderem die Pionierländer Schweden und Großbritannien, die wir in einer Best-Practice Analyse untersucht haben. Vor allem drei Punkte sind entscheidend, wenn wir jetzt die digitale Energiewende vorantreiben wollen:

Recht auf Smart Meter: Die in der Digitalstrategie bekundete Absicht, den Smart-Meter-Rollout zu entbürokratisieren, ist zu begrüßen, aber nicht hinreichend. Der Voll-Rollout ist erst ab 2032(!) eingeplant. Selbst, wenn Bürger*innen ihre Energiedaten für mehr Energieeffizienz teilen wollten – sie scheitern schlichtweg am Können. Statt einer Obergrenze sollte daher ein gesetzliches Recht auf einen Smart Meter für alle mit verbindlichen Zielvorgaben eingeführt werden. Im Zuge dessen könnten etwa Messstellen- oder Netzbetreiber dazu verpflichtet werden, Verbraucher*innen auf deren Wunsch einen Smart Meter einzubauen.

Finanzielle Anreize: Der Einbau von Smart Metern in Privathaushalten ist derzeit in der Regel weder für Verbraucher*innen noch für die Unternehmen ökonomisch sinnvoll. Wie beim Thema „Elektromobilität“ besteht das „Henne-Ei-Problem“ von Infrastruktur und Angeboten. Auch hier sollten die „Willigen“ mit geeigneten Anreizen in ihrem „Können“ unterstützt werden. Eine staatliche „Innovationsprämie“ könnte als Anschubfinanzierung fungieren, bis sich die intelligenten Zähler durch Skaleneffekte und entstehende Mehrwertdienste wirtschaftlich von alleine tragen können.

Breite Informationskampagne: Unsere repräsentative Befragung legt nahe, dass der Großteil der Bevölkerung bisher noch nicht mit dem Thema Smart Meter in Berührung gekommen ist. Eine verständliche und zielgruppengerechte Informationskampagne könnte die notwendige Wissensgrundlage schaffen. Der Fall Großbritannien demonstriert das Potential einer solchen Maßnahme: Mithilfe der Informationskampagne Smart Energy GB ist die Bekanntheit von Smart Metern von 18 Prozent im Jahr 2014 auf 98 Prozent im Jahr 2019 gestiegen.

Es ist eine Binsenweisheit: Krisen sind immer auch Chancen, um notwendige Veränderungen rascher anzustoßen. So, wie die Corona-Pandemie der digitalen Zusammenarbeit einen großen Schub verliehen hat, könnte die aus dem Ukraine-Krieg hervorgehende Energiekrise das Gemeinschaftswerk „Digitale Energiewende“ vorantreiben. Aber nur, wenn über Appelle hinaus auch in ermöglichende Bedingungen – ganz konkret: den Smart-Meter-Rollout – investiert wird. Es liegt an den Entscheider*innen in Politik und Wirtschaft, diese Chance mit konkreten Initiativen zu ergreifen. Am besten gemeinsam!