Purpose oder pure Pose?

Martin von Broock, Andreas Suchanek

Mehr als 180 CEOs amerikanischer Konzerne haben ein gemeinsames „Purpose Statement“ abgegeben. Welchen Wert haben solche Absichtserklärungen?

“We commit to deliver value to all of [our stakeholders], for the future success of our companies, our communities and our country”, so lautet der Schlusssatz des knappen “Purpose-Statements”. Zugespitzt ließe sich diese Aussage auch übersetzen mit „Die Wirtschaft muss das Wohl der Menschen fördern.“ Das war die Kernbotschaft des bereits 2010 veröffentlichten „Leitbilds für verantwortliches Handeln in der Wirtschaft“, das über 50 EntscheiderInnen aus deutschen Unternehmen, Verbänden und Gewerkschaften unter Vermittlung des WZGE unterzeichnet haben. Damals wie heute lautet die Frage: Welchen Wert haben solche kollektiven Absichtserklärungen?

Zunächst ist durchaus bemerkenswert, dass der Business Roundtable, der sich die letzten Jahrzehnte stets zur Doktrin des Shareholder-Values bekannt hat, nun andere Töne anschlägt. Und es gibt gute Gründe für einen solchen Wechsel des „Spielverständnisses“: Mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel, zunehmende soziale Gegensätze und mögliche Risiken im digitalen Wandel sehen offenbar immer mehr Menschen, gerade auch in Amerika, das Wirtschaftssystem in seiner gegenwärtigen Ausrichtung als Teil des Problems. In der Folge mehren sich die Rufe nach mehr staatlichen Eingriffen bis hin zum Systemwechsel. Dieser Kritik können die Unternehmen nur gemeinsam begegnen: Wenn sie ihre Freiheiten erhalten wollen, müssen sie den Gebrauch dieser Freiheiten selbst begrenzen – und zwar dort, wo berechtigte Interessen von Stakeholdern beim Streben nach Gewinnmaximierung verletzt werden. In diese Richtung lässt sich die Abkehr von der Shareholder-Fokussierung interpretieren.

Aus Sicht der Stakeholder werden indes Zweifel am nun veröffentlichten „Purpose Statement“ vorgebracht. ExpertInnen aus Politik und Wissenschaft werfen der Initiative vor, sie sei „zahnlos“. Denn schließlich gibt es bislang keine Hinweise auf die Umsetzung der vorgebrachten Prinzipien. „Reden kostet nichts“, resümiert Adam Seth Litwin, Professor an der Cornell University. Und es ließe sich anschließen: Was nichts kostet, ist nichts wert. Spieltheoretiker sprechen von „cheap talk“.

Tatsächlich liegt es nun primär an den Unternehmen zu zeigen, dass ihnen das Purpose Statement etwas wert ist: Wenn die UnterzeichnerInnen tatsächlich Vertrauen schaffen und Handlungsfreiheiten erhalten wollen, dann reicht es nicht allein aus, eine Haltung bloß zu reklamieren. Die Glaubwürdigkeit hängt immer daran, ob Worte und Taten miteinander vereinbar sind. Die Bedeutung des Statements lässt sich deshalb an folgendem Kriterium festmachen: Inwieweit sind die UnterzeichnerInnen bereit, in ihre Vertrauenswürdigkeit zu investieren? Stehen sie auch dort zu ihren Prinzipien, wo Kosten für sie damit verbunden sind? Das hieße, Konfliktthemen aktiv zu aufzugreifen (wie einst im o.g. Leitbild) und Erwartungsmanagement zu betreiben: Wer eine Abkehr vom Shareholder-Value Prinzip erklärt, muss die Investoren überzeugen. Wer sich zur fairen Bezahlung seiner Belegschaften bekennt, muss in der Debatte um Mindestlöhne Position beziehen. Wer als Global Player faire Lieferantenbeziehungen anstrebt, muss den Blick über den nationalen Horizont weiten (In dieser Hinsicht greift das Bekenntnis deutlich zu kurz, wenn lediglich von „Americans“ und „our country“ die Rede ist).

Doch der Wert des „Purpose-Statements“ hängt nicht nur daran, was die Unterzeichner tun. Wirkung kann es auch dann entfalten, wenn die Stakeholder ihrerseits Initiative ergreifen und die CEOs an der kommunizierten Haltung messen. Immerhin hat die Vorstellung des Statements bereits eine breite Medienöffentlichkeit erzeugt. In jeder Mitarbeiterversammlung, jedem Stakeholder-Dialog, jeder Kongressanhörung und jedem Medieninterview können die selbstgewählten Prinzipien künftig von anderen als Referenz herangezogen werden. Dann könnte der Erwartungsdruck an die CEOs steigen, die im Statement geäußerte Haltung im Alltag sichtbar werden zu lassen. Sie müssten zeigen, ob ihr Wort etwas wert ist. Gelingt dies nicht, wären die Erfolgsmöglichkeiten künftiger Vertrauensinitiativen beschädigt. Und natürlich wäre eine gescheiterte Initiative Wasser auf die Mühlen all jener, die bereits jetzt eine stärkere (Fremd-)Begrenzung der Wirtschaft und mehr fordern. In diesem Fall hätte das „Purpose-Statement“ dem ursprünglichen Zweck einen Bärendienst erwiesen.

Angesichts dessen sollten Wert und Wirkung solcher Initiativen nicht per se unterschätzt oder gar negiert werden. Mit dem „Purpose Statement“ haben die UnterzeichnerInnen einen Anspruch in die Welt gesetzt, den sie nicht allein kontrollieren können. Sie können (und sollten) aber zeigen, dass er ihnen etwas wert ist.