Rechnet sich Ethik für Unternehmen?

Prof. Andreas Suchanek

Die im Titel formulierte Frage nach dem „business case“ von Ethik ist alles andere als neu. Doch ist deren Klärung offenbar schwierig. Denn das Thema wird seit Jahrzehnten immer wieder diskutiert, ohne dass sich eine eindeutige, aus theoretischer Sicht weithin akzeptierte und für die Praxis erfolgreich umsetzbare Antwort ergeben hätte. Dafür gibt es Gründe, die auch in jenem Paradox liegen können, das im Folgenden beleuchtet wird: dem Paradox, dass sich Ethik eher rechnet, wenn man nicht rechnet.

Verantwortungsvolles Handeln

Zunächst sei angemerkt, dass mit Ethik keine abstrakte Theorie gemeint ist, sondern verantwortliches Handeln. Dann allerdings steckt in der Titelfrage eine durchaus provokante These: Unternehmen handeln nur dann verantwortlich, wenn es sich für sie lohnt. Nun ist das genau der Eindruck, den nicht wenige Menschen von Unternehmen haben, aber so formuliert suggeriert die These, dass man Unternehmen nicht über den Weg trauen kann: Denn offenbar würden sie einen ja über den Tisch ziehen, sobald sie sich davon Vorteile versprechen.

Doch auch wenn es solch opportunistische Unternehmen(svertreter) geben mag, ist doch der Alltag zumeist geprägt von gelingender Kooperation, in der gegenseitiges Vertrauen viel präsenter ist, als man sich oft bewusst macht – egal ob es sich um den Kauf von Elektrogeräten, der Buchung einer Reise oder der Nutzung eines Taxis handelt. Was hat es also mit dem „business case für Ethik“ auf sich?

Ganzheitliche Betrachtungsweise erforderlich

Begonnen sei mit folgendem Ausgangsproblem: Kurzfristig betrachtet verursacht verantwortliches Handeln praktisch immer Kosten, egal ob es sich um Compliance, das Zahlen von Steuern, das Halten von Versprechen, die Einlösung von Garantien usw. handelt. Insofern ist es plausibel zu sagen, dass sich Ethik kurzfristig eher nicht rechnet. Selbst der Dieb, der einem die Brieftasche klaut, ist unmittelbar erst einmal reicher als zuvor. Doch offenbart sich in diesem Beispiel schon das Problem unverantwortlichen, womöglich illegalen Handelns. Da unverantwortliches Handeln per definitionem mit der Schädigung anderer verbunden ist, muss man in der längeren Frist mit Rückwirkungen rechnen: Abwanderung von übervorteilten Kunden, (innere) Kündigungen unzufriedener Mitarbeiter, Zulieferer preisen die Risiken der Ausbeutung ein und sichern sich vertraglich stärker ab; generell ist bei unverantwortlichem Handeln in der Zukunft sowohl mit Reputations- und Vertrauensverlusten als auch höheren Transaktions- und anderen Kosten zu rechnen, bis hin zu gerichtlich bestimmten Sanktionen.

Umgekehrt gilt: Unternehmen, die sich verantwortlich verhalten – Gesetze beachten, gegebene Versprechen einhalten und die von ihnen kommunizierten Werte ernst nehmen – sind attraktive, weil vertrauenswürdige Kooperationspartner für Kunden, Mitarbeiter, Zulieferer, Investoren und andere. Insofern ist verantwortliches Handeln – ökonomisch gesprochen – (immer auch) eine Investition: in die Vermeidung künftiger Kosten und, vielleicht noch wichtiger, in die eigene Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit als Voraussetzung künftiger bzw. nachhaltiger Kooperation und Wertschöpfung.

Investitionen in Vertrauen

Die Quintessenz dieser Überlegungen lautet: „Think investment not cost.“ Investitionen sind zunächst immer mit Kosten verbunden, doch zielen sie auf künftige Erträge ab, die beim bloßen Kostendenken nicht selten aus dem Blick geraten, sofern man nur auf die gegenwärtigen Einsparungen schaut. Ob sich Ethik für Unternehmen rechnet, ist insofern vor allem eine Frage des Zeithorizonts – und es sind schlechte Unternehmer bzw. Führungskräfte, die nicht über das Quartal- bzw. Jahresergebnis hinaus denken!

Gegenstand der hier angesprochenen Investitionen ist Vertrauen, das insofern als wesentlicher immaterieller (wenn auch nicht bilanzierbarer) Vermögenswert angesehen werden kann. Es ist kein Zufall, dass in der sich rasch intensivierenden Debatte um Corporate Digital Responsibility immer wieder dieser Begriff – Vertrauen – genannt wird als etwas, das es zu wahren und zu stärken gelte.

Ohne dies hier detailliert ausführen zu können (mehr hierzu in: Suchanek, „Unternehmensethik. In Vertrauen investieren“, utb 3990, 2015), kann verantwortliches Handeln interpretiert werden als Respektierung der (Vertrauens-) Erwartung anderer, nicht geschädigt zu werden – und das ist eben der Verzicht darauf, kurzfristige eigene Vorteile zu Lasten anderer zu realisieren.

Beachte | So zu handeln ist eine Investition, da sie wie beschrieben die Attraktivität als vertrauenswürdiger Kooperationspartner erhöht.

Doch wenn man sich genauer anschaut, wie denn diese Investitionen „berechnet“ werden können, zeigt sich ein Paradox: Je stärker ein Unternehmen erkennen lässt, dass es beim verantwortlichen Handeln auf den „business case“, sprich: auf den eigenen Vorteil, achtet, umso weniger werden sich diese Investitionen rechnen. Vertrauenswürdigkeit als Ergebnis verantwortlichen Handelns resultiert daraus, dass man gerade nicht in jedem Einzelfall fragt, ob und wann sich dieses Verhalten lohnt, sondern sich generell an Regeln hält, seine Versprechen einhält oder manche Handlungen unterlässt, weil „man so etwas nicht tut“ – und sich andere darauf verlassen können. Hat man es hingegen mit einem Gegenüber zu tun, das bei jeder Handlung fragt „what’s in it for me?“, ist aus gutem Grund Misstrauen die natürliche Reaktion. Denn eine solche Haltung unterminiert die Verlässlichkeit bzw. die Glaubwürdigkeit, dass man es ernst meint mit der Ethik im hier gemeinten Sinne.

Heißt das, dass man nicht rechnen darf, wenn es um Ethik, um verantwortliches Handeln geht? Eine solche Einstellung, wie sie manchmal gefordert wird (typischerweise von Menschen, denen der Unternehmensalltag fremd ist), ist schlicht lebensfremd; mehr noch: Für Unternehmen ist es zwingend erforderlich, sich auch und immer wieder an den monetären Kosten und Erträgen zu orientieren. Generell ist also die Abwägung unausweichlich, welche Vor- und Nachteile sich aus Strategien und Entscheidungen für das Unternehmen ebenso wie für Betroffene ergeben. Entscheidend ist, welche Vor- und Nachteile man berücksichtigt und wie man sie gewichtet. Vertrauen entsteht, wenn der Vertrauensgeber das Gefühl hat, dass die eigenen Interessen in fairer Weise berücksichtigt werden. Dann ist er bereit, jene Vertrauensvorleistungen zu erbringen, die letztlich Grundlage von Kooperation, Innovationen und generell Wertschöpfung sind.

Fazit | Rechnet sich Ethik also? Aus gesellschaftlicher Sicht zweifellos, denn Ethik bzw. verantwortliches Verhalten ist praktisch per definitionem etwas, was das Gemeinwohl fördert. Auch aus Unternehmenssicht kann sich (alltagstaugliche) Ethik rechnen: als Grundlage vertrauensvoller Kooperation. Doch wenn wir anfangen, immer kurzfristiger und enggefasster danach zu fragen, ob und wann sich verantwortliches Handeln rechnet, zerstören wir genau damit die Grundlage dafür, dass es das tut. Wenn man sich nicht mehr aufeinander verlassen kann, ist man bald verlassen – und das rechnet sich auf Dauer für niemanden.