Gute Führung in Zeiten schlechter Beispiele

Prof. Andreas Suchanek, Dr. Martin von Broock

Für Deutschland ist der 9. November in mehrfacher Hinsicht ein historisches Datum. So wurde an diesem Tag vor 27 Jahren eine Mauer niedergerissen, die nicht zur zwei Systeme, sondern auch Deutsche und Deutsche trennte. Nun haben die Bürger in den USA in der Nacht zum 9. November einen Mann zu ihrem künftigen Präsidenten gewählt, der mit dem Versprechen angetreten ist, eine neue Mauer zu errichten.

 

Mehr noch: Wie kein Präsidentschaftskandidat zuvor hat Donald Trump seinen Wahlkampf mit einer Haltung der Verachtung geführt: einer Verachtung politischer Institutionen – vom US-Kongress über die Nato bis zu den Vereinten Nationen. Und einer Verachtung ethischer Ideale, insbesondere den Ideen des kompromissorientierten Dialogs und Werten wie Achtung, Respekt und Fairness. Kurzum: Trump hat keinen Hehl aus seiner Missbilligung all jener Einrichtungen und Tugenden gemacht, die konstitutiv sind für die Demokratie. Dennoch hat er die Wahl gewonnen – unter Inanspruchnahme jener Verfahren, die er selbst kritisiert hat. Mit Blick auf das künftige Handeln des Präsidenten rät nun mancher zur Gelassenheit. Schließlich galt stets, dass das Amt den Menschen mehr verändert als der Mensch das Amt. Nun kann sich Donald Trump aber auf Voraussetzungen stützen, die genau dies in Frage stellen:

Erstens wurde Trumps Haltung der Verachtung im Ergebnis nicht nur nicht sanktioniert, sondern von vielen sogar ausdrücklich befürwortet. Es war nicht allein der inhaltliche Fokus, der ihm Sympathien eingebracht hat. Wertschätzung hat Trump insbesondere auch für die Art und Weise erfahren, wie er Themen aufgegriffen und seine Kritik vorgebracht hat.

Zweitens hat sich Trump gegen Kritik an seinen Entscheidungen in gewisser Hinsicht immunisiert. Im Wahlkampf hat er die zunehmende Sehnsucht der Menschen nach einer Rückkehr zu „geordneten“ und überschaubaren Verhältnissen – was auch immer damit genau gemeint sein könnte – mit vermeintlich einfachen Vorschlägen bedient. Nun wäre es nach der Wahl im demokratischen System eigentlich Aufgabe der disziplinierenden Institutionen, die Konsequenzen oder Kosten der Trumpschen Verführungen offenzulegen und den Präsidenten für den Wahrheitsgehalt seiner Versprechen in Haftung zu nehmen. Aber die Standards für eine solche Wahrhaftigkeitsprüfung hat Donald Trump ex-ante ja gerade entwertet, indem er das gesamte System – Politik, Medien, Wissenschaft – pauschal für korrupt erklärt hat.

Drittens kann sich Donald Trump zum Antritt seines Präsidentenamts im Januar 2017 auf stabile Mehrheiten in Senat und Kongress stützen. Er wird des Weiteren die politische Ausrichtung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten durch anstehende personelle Entscheidungen maßgeblich beeinflussen können. Und auch für die Streitkräfte hat er bereits den Austausch zahlreicher Generäle angekündigt. Anstatt sich mit anderen Meinungen auseinandersetzen zu müssen, kann Donald Trump weitere Gefolgsleute und Multiplikatoren installieren und so die eigene Machtposition ausbauen.

Aus ethischer Perspektive stellt sich nun die Frage: Wie reagiert gute, d.h. menschengerechte und sachgemäße Führung auf eine solche Situation? Wie verhält man sich zu einem Partner, der elementare Grundprinzipien und Regeln des fairen und respektvollen Umgangs miteinander, etwa der Nicht-Diskriminierung von Minderheiten oder der Einhaltung elementarer Verfahrensregeln, nicht beachtet oder sogar offen negiert? Und: Inwieweit kann man sich Nicht-Kooperation leisten, wenn einerseits Abhängigkeiten fortbestehen und andererseits Dritte nur darauf warten, als neue Kooperationspartner einzuspringen, etwa im Handel oder in der Sicherheitspolitik?

Gerade in diesen Zeiten heißt gute Führung: Haltung bewahren. Gemeint ist damit erstens die grundlegende Bereitschaft zur Fortsetzung der Kooperation – unter Bedingungen. Zweifellos ist es unumgänglich, in Wirtschaft und Politik immer wieder Kompromisse einzugehen und Zugeständnisse zu machen. Diese Kernprämisse freiheitlich verfasster Gesellschaften gilt es nun mehr denn je zu verteidigen. Dementsprechend würde ein sofortiger Abbruch der Zusammenarbeit in Widerspruch zu den für das eigene Handeln in Anspruch genommenen Werten stehen. Denn letztlich verlangt auch der Respekt vor dem Amt eines durch demokratische Verfahren legitimierten Präsidenten zunächst eine grundlegende Offenheit zur Kooperation. Allerdings müssen unmissverständlich die „roten Linien“ dieser Kooperation deutlich gemacht werden. Denn moralische Werte und Prinzipien sind nur dann glaubwürdig, wenn sie gerade in Krisenzeiten handlungsleitend werden. Umso mehr müssen nun Vorkehrungen getroffen werden, diese Linien auch einhalten zu können.

Deshalb verlangt „Haltung bewahren“ zweitens gerade jetzt, alternative Kooperationsmöglichkeiten auszuloten und zu initiieren. Es gilt nun, neue Allianzen zu schmieden, um gemeinsam sowohl in die eigenen Reihen als auch gegenüber Partnern wie Donald Trump zu signalisieren: Unsere Werte werden nicht Preis gegeben. Und dieses Signal wird umso glaubwürdiger, je breiter, unkonventioneller und diverser die Bündnisse sind – beispielsweise unter Beteiligung von politischen Akteuren und Nichtregierungsorganisationen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Kirchen und Wirtschaftsverbänden, Unternehmern und Kulturschaffenden, Elder Statesmen und Young Leaders, national und international. Schließlich geht es um nichts Geringeres als den Erhalt der gemeinsamen Voraussetzungen für einen fairen Wettstreit unterschiedlicher Interessen und Meinungen. Umso wichtiger sind nun Signale der Geschlossenheit. Solche Signale muss gute Führung nun initiieren. Denn letztlich beruht der Erfolg von Verführern wie Trump ja gerade darauf, dass sie Kapital aus jener Vielstimmigkeit schlagen, die innerhalb des politischen Wettbewerbs unabdingbar ist, die mit Blick auf die Bedingungen für den Wettbewerb indes nachhaltigen Schaden anrichten kann. Und diese Herausforderung, beschränkt sich nicht auf die Vereinigten Staaten, wie die Entwicklungen in vielen anderen Ländern zeigen.

Gute Führung mit Haltung verlangt in diesen Zeiten also gerade nicht „Heroentum“, sondern vielmehr einen klaren Blick auf „Investitionsalternativen“. Denn gelebte Werte sind Vermögenswerte, die Investitionen erfordern und verdienen. Umgekehrt ist die Preisgabe von Werten gerade dann, wenn es darauf ankommt, zu ihnen zu stehen, stets auch ein Signal für die (mangelnde) eigene Haltung und mithin ausschlaggebend für Reputation und Vertrauenswürdigkeit.

Zusammengefasst: Gerade in Zeiten schlechter Beispiele verlangt gute Führung, der Goldenen Regel zu folgen: Investiere in die Bedingungen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil.