"Wir brauchen kollektive Schutzschirme bei der Datenverarbeitung" - Malte Spitz im WZGE-Gespräch

Wie lassen sich die ethischen Dilemmata des Datenteilens überwinden? Im WZGE-Gespräch leitet Malte Spitz Lehren für die digitale Energiewende ab.

Es ist eine der Kernthesen der kürzlich veröffentlichten Datenstrategie der Bundesregierung: Um die großen Chancen der Digitalisierung für Wirtschaft und Gesellschaft nutzen zu können, braucht es die Bereitschaft aller Akteur*innen, Daten miteinander zu teilen. Jedoch: Konflikte und ethische Dilemmata im Dreieck von (informationeller) individueller Autonomie, unternehmerischen Verwertungsinteressen und gesellschaftlichen Anliegen erzeugen Akzeptanz- und Vertrauensprobleme. Und schränken in der Folge die Kooperationsbereitschaft zum Datenteilen ein. Dies gilt für die Pandemiebekämpfung – Stichwort Corona-Warn-App – ebenso wie für die Digitalisierung des Energiesektors, wo Bürger*innen der Bereitstellung von Energiedaten mittels technischer Innovationen wie intelligenten Stromzählern (Smart Metern) weithin mit Skepsis begegnen.

Wie können wir diese datenethischen Dilemmata überwinden? Dazu haben wir im Rahmen unseres Projekts „Ethische Herausforderungen der digitalen Energiewende“ mit Malte Spitz gesprochen. Der Politiker, Bürgerrechtler, Datenaktivist und Publizist setzt sich seit vielen Jahren in vielfältiger Weise mit dem digitalen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft auseinander. Daraus gingen unter anderem die zwei Bücher Was macht ihr mit meinen Daten? und Daten – Das Öl des 21. Jahrhunderts? Nachhaltigkeit im digitalen Zeitalter hervor. 

Datentreuhänder als Vertrauensinstanzen

Einen nachhaltigen Lösungsansatz zur Entschärfung von Interessenkonflikten und Vertrauensdefiziten sieht Malte Spitz im Einsatz von Datentreuhändern. Grundlegende Idee eines solchen Konzepts: Eine treuhänderische Institution, die kein kommerzielles Interesse verfolgt, sondern am Gemeinwohl ausgerichtet ist, übernimmt als unabhängige Mittlerin bestimmte Aufgaben beim Datenaustausch etwa zwischen datenbereitstellenden Bürger*innen und datennutzenden Unternehmen. Dadurch stellt sie eine verantwortungsvolle Nutzung von Daten sicher – und schafft so Vertrauen bei denjenigen, die Daten bereitstellen.

Datentreuhändermodelle haben zweifellos gerade Konjunktur in der öffentlichen Debatte. So spricht sich etwa die Datenstrategie der Bundesregierung zum Zwecke der „Etablierung einer Kultur des nachhaltigen Datenteilens und -nutzens“ für die Förderung einer Vielfalt von Datentreuhändermodellen aus. Doch aktuell hat der Begriff der Datentreuhänderschaft noch überwiegend Schlagwortcharakter und verbleibt in seiner Bedeutung häufig unbestimmt.

Malte Spitz dagegen hat ein ganz konkretes Modell vor Augen, in der die treuhänderische Institution eine ausgesprochen aktive Rolle einnehmen soll – und etwa nicht nur als Datendrehscheibe fungiert, von der aus Daten abgefragt werden können. In diesem Modell verbleiben die – z.B. in Form von Datenspenden – bereitgestellten Daten bei der treuhänderischen Institution und werden von ihr auch mithilfe einer eigenen IT-Infrastruktur verarbeitet. Auf diese Weise kann etwa eine wissenschaftliche Einrichtung oder ein Unternehmen den Datentreuhänder damit beauftragen, anhand bestimmter Datensets eine Software oder Algorithmen zu testen, um daraus nützliche Erkenntnisse ziehen zu können:

Es wird ein Trainings-Datenset und eine IT-Infrastruktur bereitgestellt, vereinfacht gesagt, auf der wissenschaftliche Stellen, Start-Ups aber auch Unternehmen ihre Anwendungen testen können, um zu schauen, klappt das, was sie da andenken, umsetzen bzw. ist es überhaupt funktionsfähig. Sie können trainieren. Wissenschaftler*innen könnten dafür Gutscheine bekommen, Start-Ups Testkapazitäten als Startförderungen, Unternehmen müssten gegebenenfalls dafür bezahlen, um auf eine erstklassige IT-Umgebung samt qualitativer Datensets arbeiten zu können. Aus diesen Tests können wichtige Informationen gezogen werden, die dann für die weitere Entwicklung tatsächlich helfen.

Darüber hinaus soll nach Vorstellung des Datenexperten die treuhänderische Instanz noch mit weiteren Kompetenzen ausgestattet werden und als eine Art ethische Kontroll- und Vertrauensinstanz fungieren. Diese könne dann anhand von Prüfungen „ethische fragwürdige Ansätze oder kriminelle Anwendungen“ identifizieren und „für die Qualität und Vielfalt der Daten garantieren“, um gezielt Diskriminierungspotential zu verhindern. Zu diesem Zwecke könne ein „Data Governance Board“ geschaffen werden. Ein solch weitreichender Ansatz hat für ihn gleich mehrere Vorteile: Er greift nicht nur gezielt „Sorgen und Ängste der Menschen“ auf, sondern kann etwa auch dazu beitragen, Forschungseinrichtungen und kleinen Unternehmen IT-Infrastrukturen zur Datenanalyse bereitzustellen, die sich diese ansonsten nicht leisten könnten.

Datensouveränität: mehr Kontrolle über die eigenen Daten

Eine neben dem Einsatz von Datentreuhändern weitere vertrauensbildende Maßnahme ist für Malte Spitz das Schaffen von Auswahlmöglichkeiten, mit denen die Datengebenden kontrollieren können, welche der bereitgestellten Daten wie genau verwendet werden dürfen. Zum Beispiel, indem Bürger*innen bestimmen können, ob ihre detaillierten individuellen personenbezogenen Daten genutzt werden können oder ob Daten von ihnen nur geclustert, etwa nach bestimmten soziodemographischen Werten Verwendung finden dürfen. Es braucht zusätzlich zu generellen Regeln also auch differenzierte Einstellungsoptionen, die die Einzelnen in die Lage versetzen, ihre informationelle Selbstbestimmung in der digitalen Welt auszuüben. Bisher, so Malte Spitz, sei es häufig noch so, dass man bei der Bereitstellung von Daten – ob nun als Datenspende oder im Zuge der Nutzung digitaler Services – „die Katze im Sack“ kaufen müsse.

Datenschutz auch kollektiv denken

Datenschutz darf jedoch, wie Malte Spitz betont, nicht nur vom Individuum her gedacht werden, wie dies derzeit überwiegend rechtlich und auch in der öffentlichen Debatte der Fall ist. Für den Aufbau von Vertrauen muss auch die kollektive Dimension stärker in den Blick geraten: also die Frage, welche gesellschaftlichen Folgen die Bereitstellung und Nutzung von Daten hat – sowohl auf allgemeiner Ebene als auch für bestimmte gesellschaftliche Teilgruppen. In letzterem Fall denkt der Bürgerrechtler vor allem an sozial benachteiligte Gruppen, deren prekäre Situation sich womöglich durch die Preisgabe von Daten noch zusätzlich verschlechtern könne. Daher brauche es neben den individuellen Rechten künftig zusätzliche „kollektive Schutzschirme bei der Datenverarbeitung“, die dazu beitragen können, bei diesem Gruppen Angstgefühle und Sorgen vor Diskriminierung abzubauen.

Inspirationen für die digitale Energiewende

Eine Perspektive, die zweifellos auch für die ethischen Herausforderungen der digitalen Energiewende von Relevanz ist. Denkbar sind hier beispielsweise Ängste bei von Energiearmut betroffenen Haushalten, dass intelligente Stromzähler als digitale Schnittstelle dazu genutzt werden könnten, um eine Stromsperre vorzunehmen. Auch die Preisdiskriminierung bestimmter Verbraucher*innen-Gruppen mithilfe algorithmengestützter Auswertungen von personenbezogenen Daten ist eine durchaus vorstellbare Diskriminierungsgefahr, die Vertrauen untergraben könnte.

Dies macht deutlich, wie wichtig es ist, für die Bildung von Vertrauen hinsichtlich des Datenteilens und -nutzens im Kontext der digitalen Energiewende systematisch die spezifische Situation solcher Gruppen im Blick zu behalten. Ein inspirierendes Beispiel dafür ist Großbritannien, wo der Smart-Meter-Rollout dezidiert an den Bedürfnissen von vulnerablen Gruppen wie z.B. von Energiearmut betroffenen Menschen ausgerichtet ist.

Auch das skizzierte Datentreuhändermodell stellt eine interessante Perspektive für die Energiewende dar. Eine treuhänderische Institution, wie sie Malte Spitz vorschwebt, könnte nicht nur als „trust agent“ zwischen Energieverbraucher*innen und datenverarbeitenden Energieunternehmen fungieren. Auch hinsichtlich des im Zuge der „Sektorenkopplung“ immer wichtiger werdenden Datenaustauschs zwischen Unternehmen der unterschiedlichen Sektoren, wie zum Beispiel Energieversorgern und Autobauern, sind solche Datentreuhänder eine bedenkenswerte Option. Sie könnten diesbezüglich etwa eine wichtige Rolle für den Aufbau von Vertrauen und den Ausgleich der unterschiedlichen Interessen spielen und zudem durch Sicherstellung eines fairen Datenzugangs auch für kleinere Unternehmen und Startups für mehr Wettbewerb sorgen.

Aus wirtschaftsethischer Perspektive ist schließlich jedoch auch zu betonen: Auch wenn Datentreuhänder eine wichtige Rolle spielen können für die Überwindung von datenethischen Dilemmata und Vertrauensdefiziten, stehen natürlich auch die Unternehmen selbst in der Pflicht, durch einen verantwortungsvollen Umgang mit Daten zur Vertrauensbildung beizutragen. Dies hebt auch Malte Spitz hervor. Als besonders dringliche Aufgabe sieht er dabei die „die Herstellung von Transparenz im eigenen Handeln“, was in Sachen Datennutzung bisher bei vielen Unternehmen – seien das nun Google, Facebook oder größere Energieunternehmen – nur bedingt der Fall sei. Ein relevanter Aspekt ist für ihn die offene Formulierung von Strategien der Datennutzung – als Voraussetzung für Datengebende, informierte Abwägungen vornehmen zu können. Ein weiterer wichtiger Punkt sei die aktive Unterstützung von kontrollierenden Institutionen bei ihrer Arbeit. Mit Blick darauf, dass auch im Energiebereich die Bereitstellung von Daten immer wichtiger für unternehmerische Geschäftsmodelle wird, sicherlich Vertrauensinvestitionen, die sich langfristig auszahlen werden.

 

Anmerkungen

1 Das Gespräch mit Malte Spitz ist Teil einer Reihe von Interviews mit Expert*innen aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft, die wir derzeit im Rahmen unseres Projekts durchführen