Das Zieldreieck guter Führung: Gewinn, Sinn, Nicht-Schädigung

Ausgehend von Adam Smith skizziert Andreas Suchanek einen zeitgemäßen und alltagstauglichen Führungsansatz.

Wir leben in turbulenten Zeiten. Die politischen Entwicklungen in den USA, in Großbritannien, in Italien und vielen anderen Regionen der Welt, die teilweise disruptiven Änderungen, die die Digitalisierung immer wieder mit sich bringt und auch die zunehmend sichtbar werdenden ökologischen Folgewirkungen menschlicher Nutzung der Ressourcen des Planeten – sie gehen einher mit weitreichenden Herausforderungen, die tiefgreifende Konfliktpotenziale mit sich führen. In den letzten Jahren hat sich dafür der Begriff der VUCA-Welt etabliert, einer Welt, die durch Volatilität (volatility), Ungewissheit (uncertainty), Komplexität (complexity) und Ambivalenz (ambiguity) geprägt ist.

In einer VUCA-Welt ist Führung mehr denn je gefragt. Denn Wandel braucht immer auch Kontinuität. Und Kontinuität erfordert Orientierungen, die Halt geben und dazu motivieren, die nächsten Schritte zu gehen.

Die nachfolgenden knappen Ausführungen sollen drei ethische Orientierungen für Führungskräfte (in der Wirtschaft) vorstellen, die immer wieder aufs Neue miteinander zu verbinden sind.

Der Ausgangspunkt für dieses Unterfangen mag verwundern: Es ist der Adam und der Schmied der Nationalökonomie, Adam Smith, der den meisten nur bekannt ist als der Schöpfer des Theorems der unsichtbaren Hand, wonach das Eigeninteresse der Menschen durch die Wirkkräfte der Marktwirtschaft auf wundersame Weise zum Wohle aller gelenkt werden.

Ich will an dieser Stelle nicht über die moralische Qualität der Marktwirtschaft sprechen, auch wenn ich überzeugt bin, dass wir in unserer Welt es nur durch dieses Wirtschaftssystem erreichen können, mehr als 7,6 Milliarden Menschen mit dem, was sie brauchen, zu versorgen. Mir geht es heute um eine andere Botschaft von Adam Smith.

Er hat – als Moralphilosoph, der er war – neben dem „Wohlstand der Nationen“ auch das Werk „Eine Theorie ethischer Gefühle“ (Theory of Moral Sentiments) geschrieben. Darin entwickelt er unter anderem eine Tugendlehre, die ich nachfolgend in sehr komprimierter Form vorstellen möchte, um dann die Grundgedanken zu transferieren in die angekündigten Orientierungen für Führungskräfte.

Als Startpunkt für das Reflektieren über gutes Handeln nimmt Smith – wie letztlich wohl jede normative Ethik – das gute, gelingende Leben der Menschen als den Referenzpunkt schlechthin. Die plausible und wohl allgemein geteilte Annahme ist, dass wir alle nach einem guten Leben, nach Glückseligkeit, streben. Ethik befasst sich nun mit der Frage nach dem guten Leben aller – aus Sicht des Einzelnen: Es geht um das eigene gute Leben und das der anderen. Daraus leitet Smith drei Grundtugenden her:

  1. sich um das eigene Wohlergehen zu kümmern ist Klugheit (prudence)
  2. sich um das Wohlergehen anderer zu kümmern ist Wohlwollen (beneficence)
  3. anderen nicht zu schaden ist Gerechtigkeit (justice).

Drei Punkte verdienen Erwähnung. Zum ersten ist es ethisch völlig legitim, sich (auch) um das eigene Wohlergehen zu kümmern; die Vorstellung, dass moralisches Handeln nur mit Verzicht und Aufgabe zu tun hat, ist nicht nur verfehlt, sondern würde auch dazu führen, dass kaum ein Mensch moralisch handelte: Niemand ist bereit, dauerhaft gegen seine eigenen Interessen zu handeln.

Zum zweiten betont gerade Smith, dass kaum ein Mensch desinteressiert ist am Wohlergehen anderer – im Gegenteil. In aller Regel nehmen wir daran Anteil. Diese Anteilnahme hat nur – unvermeidlicherweise – Grenzen; genau deshalb favorisiert Smith eine Marktwirtschaft: In einer großen, anonymen Gesellschaft können wir unsere Wirtschaft nicht darauf basieren, dass wir voneinander wissen, was der andere braucht und auch entsprechend handeln.

Zum dritten erkennt Smith sehr klar, dass man das eigene Wohlergehen und das einzelner Anderer auch fördern kann zu Lasten Dritter, etwa durch Kartelle oder sogar organisierte Kriminalität. Deshalb betont er die Bedeutung von Gerechtigkeit. Damit meint er nicht so etwas wie Verteilungs- oder soziale Gerechtigkeit. Für Smith ist Gerechtigkeit eine Tugend, die die berechtigten Erwartungen und Interessen anderer ernst nimmt; entsprechend ist für ihn ein Handeln ungerecht, wenn es anderen Schaden zufügt.

Die drei genannten Tugenden seien in einem nächsten Schritt ‚übersetzt‘ in Orientierungen für Führungskräfte (in der Wirtschaft). Beginnen wir mit der Tugend der „Klugheit“, der legitimen Sorge um das eigene Wohlergehen. Im Kontext von Unternehmen lässt sich dies als „Gewinn(orientierung)“ interpretieren; Gewinne sind gewissermaßen unerlässlich für das ‚Wohlergehen‘ eines Unternehmens. Werden keine Gewinne gemacht, muss ein Unternehmen um seine Existenz bangen.

Dies aus ethischer Sicht zu betonen ist deshalb wichtig, weil Gewinn für viele Menschen negativ konnotiert ist: Wer Gewinne macht, so die Unterstellung, macht sie oft auf Kosten anderer. Nun ist nicht auszuschließen, dass dies geschehen kann; daher werden auch die gleich genannten weiteren Orientierungen wichtig. Doch sind Gewinne als solche deshalb genauso wenig pauschal zu verwerfen, wie es verfehlt wäre, Skalpelle zu verbieten, nur weil man mit ihnen Menschen töten kann. Um es mit Peter Drucker zu sagen: „If archangels instead of businessmen sat in directors‘ chairs, they would still have to be concerned with profitability, despite their total lack of personal interest in making profits.“

Gewinne zu erzielen ist also etwas, was Führungskräfte in der Wirtschaft gar nicht umhin können zu beachten (wie auch das Zitat von P. Drucker nahelegt); wenn man so will, ist die Disziplin der Betriebswirtschaftslehre auf nichts anderes hin ausgelegt.

Allerdings gibt es aus den letzten Jahrzehnten leider genügend Evidenz dafür, dass die alleinige Orientierung am Gewinnkriterium zum Problem werden kann – oft zunächst für andere, dann aber in der Regel auch für das betreffende Unternehmen. Man kann Gewinne auch dadurch realisieren, dass man andere täuscht oder ausbeutet oder indem man Kosten externalisiert, also auf andere oder die Umwelt abwälzt. Mehr noch: Es dürfte wohl kaum einen Mitarbeiter geben, der für die Arbeit motiviert werden kann, indem man ihm sagt, seine Arbeit würde die Gewinne des Unternehmens steigern. Anders gesagt: Das Gewinnkriterium allein vermag noch nicht hinreichende Orientierung zu geben.

So ist, wie gerade heute immer deutlicher wird, ein weitere Orientierung erforderlich, die dem Ganzen buchstäblich Sinn gibt, den das Gewinnkriterium inhärent nicht bieten kann. Dieser Sinn von Unternehmenstätigkeit wird in heutiger Zeit gern mit dem Begriff „Purpose“ bezeichnet. Die Smithsche Inspiration aufnehmend geht es um die gesellschaftliche Wertschöpfung, die darauf abzielt, (auch) für andere einen Beitrag zu leisten im Sinne der beneficence. Ein schönes Beispiel für den Purpose eines Unternehmens ist der des Unternehmens John Deere: „Help farmers do a better job feeding the world“.

Doch auch die Kombination von Gewinn und Purpose werden nicht immer verhindern, dass die entsprechenden Aktivitäten Schädigungen Dritter verursachen können, sei es nicht-intendiert, sei es billigend in Kauf genommen. Es gibt Unternehmen, die Kunden erfreuen ob günstiger Preise, die jedoch nur dadurch zustande kommen, dass in der Wertschöpfungskette Zulieferer gedrückt werden oder Umweltkosten externalisiert werden. Ein anderes Beispiel wäre ein Biobauernhof, der seinen Purpose der Erzeugung nachhaltiger Lebensmittel, unter anderem durch artgerechte Tierhaltung, nur meint realisieren zu können, indem den MitarbeiterInnen unzumutbare Arbeitsbelastungen auferlegt werden. Aus ethischer Sicht ist eine solche Verfolgung der Ziele „Purpose“ und „Gewinn“ problematisch, mehr noch: unverantwortlich – oder mit Adam Smith gesprochen: ungerecht, es verletzt die legitimen Interessen bzw. Erwartungen anderer. Deshalb wird als dritte Orientierung, die die beiden ersten ergänzt, das Prinzip der Nichtschädigung („do no harm“) vorgeschlagen.

Gute Führung benötigt alle drei Orientierungen. Keine ist wichtiger als die anderen, keine kann reduziert werden auf andere. Zwar wird man immer wieder finden, dass eine der Orientierungen herausgestellt wird – in vielen Fällen etwa Gewinn, oder neuerdings verstärkt Purpose. Das kann auch sinnvoll sein, sofern man davon ausgeht, dass die anderen Orientierungen im Hintergrund mitlaufen bzw. nicht missachtet werden. Doch wird es immer wieder zu Situationen kommen, in denen die Konzentration auf eine der Orientierungen das Risiko mit sich bringt, die anderen zu vernachlässigen. Daher ist es wichtig, ihren Zusammenhang im Blick zu behalten.

In den letzten Jahren wurde an der HHL – Leipzig Graduate School of Management ein Führungsmodell entwickelt, das diesen Zusammenhang thematisiert: das Leipziger Führungsmodell. Es sei an dieser Stelle nicht im Einzelnen erörtert, sondern lediglich darauf verwiesen, dass dieses Modell im Zentrum den Gedanken des Purpose stehen hat, der – so das Grundverständnis dieses Modells – sich immer daraufhin zu orientieren hat, dass Wertbeiträge – für die Gesellschaft, für die Organisation und für die beteiligten Individuen – geschaffen werden. Drei weitere Dimensionen guter Führung umgeben diesen Kern des Purpose: die Dimension der Effektivität, mit der die oben angesprochene Unverzichtbarkeit der Gewinnerzielung angesprochen wird. Eine weitere Dimension, die in den bisherigen Überlegungen nicht explizit thematisiert wurde, betrifft den Unternehmergeist, d.h. die Bereitschaft, unternehmerische Risiken auf sich zu nehmen, indem man nach innovativen Wegen zu suchen bereit ist, wie der angestrebte Purpose realisiert werden kann. Die vierte Dimension schließlich ist die der Verantwortung: Wiederum ist der Gedanke, dass das effektive und unternehmerische Verwirklichen eines Purposes nicht zu Lasten legitimer Ansprüche und Interessen Dritter gehen darf.

Diese sehr knappen Überlegungen verdeutlichen, dass die simultane Beachtung aller vier Dimensionen praktisch unausweichlich mit Spannungen einhergeht. Doch liegen in der Zusammenschau auch Potenziale, die nicht gehoben werden, wenn beispielsweise immer nur der Blick auf Effektivität, d.h. Gewinnerzielung gerichtet wird. Auch dies wird im Modell hervorgehoben:

Im letzten Schritt sei auf die Dimension „Verantwortung“ des Führungsmodells eingegangen. Im Sinne der vorherigen Ausführungen ist diese Dimension als die dritte Orientierung: „do no harm“ zu fassen, d.h. als Respektierung der legitimen Interessen von Stakeholdern – und das grundlegendste legitime Interesse ist, nicht geschädigt zu werden.

Am Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik haben wir 2017 in einem Prozess, der sich über das ganze Jahr des Reformationsjubiläums erstreckte, einen ethischen Kompass erarbeitet – gemeinsam mit ca. 500 Personen in einer Reihe von Gesprächen, Workshops, Seminaren und Konferenzen. Dieser Kompass hat das Nichtschädigungs-Gebot in seinem Zentrum:

Auch hier kann ich nur eine knappe Skizze dessen geben, was hinter diesem Modell steht. Alles beginnt mit Freiheit. So eröffnen uns etwa Globalisierung und Digitalisierung zahlreiche neue Freiheiten. Doch damit geht unvermeidlich einher, dass diese Freiheiten auch in einer Weise gebraucht werden können, die Nachteile, Schädigungen, mit sich bringen, für andere oder auch für einen selbst. Dies gilt umso mehr, wenn der Wettbewerbs- und Kostendruck Unternehmen dazu bringt, Kosten zu externalisieren oder Produktionsprozesse auszulagern, auch in dem Wissen, dass damit verringerte Sozial und Umweltstandards einhergehen. Und die vielen Vorteile, die Digitalisierung mit sich bringt – ein Beispiel ist etwa die Möglichkeiten flexiblerer Arbeitszeit- und –platzgestaltung –, gehen einher mit nicht intendierten, unerwünschten Nebenwirkungen wie beispielsweise erhöhtem Stress.

Deshalb ist der zweite Schritt mit dem Kompass die Frage, welche solcher Nebenwirkungen der Freiheitsgebrauch haben könnte, genauer: welche Schädigungen damit einhergehen könnten. Einbettung meint die bewusste Analyse und Reflexion der Situation mit Blick auf solche Schädigungspotenziale.

Das dritte Element des Kompasses betrifft die Haltung, mit der diese möglichen Schädigungen bewertet werden: Respekt. Gemeint ist damit ebendiese Einstellung, wonach die Schädigung anderer – oder auch von einem selbst – nach Möglichkeit zu vermeiden ist aufgrund der Anerkennung ihrer Würde.

Der vierte Schritt schließlich betrifft die Umsetzung: Selbstbegrenzung ist eben dort verlangt, wo der Freiheitsgebrauch andere schädigen kann. Wir lernen das schon als Kind: Wenn wir anfangen, sprechen zu können, lernen wir auch, den Mund zu halten, weil wir mit unseren Worten andere verletzen könnten. In durchaus vergleichbarer Weise investieren Unternehmen heute in Compliance, auch um zeigen zu können, dass sie sich an Regeln und Gesetze halten – also ihre Freiheit beschränken –, um ein verlässlicher Kooperationspartner zu sein, der andere nicht schädigt.

Gerade der letzte Punkt macht deutlich, dass die Selbstbegrenzung, auf die der ethische Kompass abstellt, nicht einfach bloßer Verzicht um abstrakter ethischer Normen willen ist, sondern eine wichtige Investition in Vertrauen.

Um es abschließend noch einmal hervorzuheben: Aus der hier vorgestellten Sicht eines Ethikers hat keine der drei genannten Orientierungen – Gewinn, Purpose, Nichtschädigung – Vorrang, und keine kann weggelassen werden. Gewinne sollten nicht in einer Weise realisiert werden, dass die legitimen Interessen Dritter auf Nichtschädigung verletzt werden. Doch sind umgekehrt solche Schädigungen erlaubt, die im Rahmen der gegebenen Gesetze und Wertvorstellungen bleiben und einem akzeptablen Purpose dienen.

Es geht mit anderen Worten im betrieblichen Alltag immer wieder darum, die drei Orientierungen auszutarieren. Das wird nicht immer bewusst geschehen, und es wird auch immer wieder vorkommen, dass eine der Orientierungen zeitweilig in den Vordergrund tritt. Doch gute Führung wird keine der drei Orientierungen ganz aus den Augen verlieren.

Literatur

de Biasi, Katharina (2018): Solving the Change Paradox by Means of Trust: Leveraging the Power of Trust to Provide Continuity in Times of Organizational Change, Wiesbaden: Springer Gabler.

Drucker, Peter (2001): The Essential Drucker, New York: Harper.

Entschew, Elisa M. / Andreas Suchanek (2017): Digital Communication: A New Challenge for Moral Discernment, in: Zeitschrift für Wirtschafts-und Unternehmensethik, 18(3), S. 347-369.

Suchanek, Andreas (2015): Unternehmensethik. In Vertrauen investieren, Tübingen: Mohr Siebeck.

Suchanek, Andreas (2015a): Freiheit und Vertrauen, in: Unternehmen im öffentlichen Raum. Wiesbaden: Springer VS, S. 251-264.

Suchanek, Andreas / Martin von Broock (2017): Ein ethischer Kompass für Führungskräfte, Forum Wirtschaftsethik 25, S. 24-32