Welche ethischen Chancen und Konflikte sind mit der digitalen Transformation des Energiesektors verbunden? Welche „Investitionen“ und „Zumutungen“ sind nötig, um die digitale Energiewende als Gemeinschaftsaufgabe voranzutreiben? Und welche Beiträge können wir dabei legitimerweise von Unternehmen erwarten? Diese Fragen stehen im Zentrum unserer im Januar 2020 mit Förderung der E.ON-Stiftung gestarteten Studie.
Digitale Technologien durchdringen alle Lebensbereiche und nehmen eine immer wichtigere Rolle für gesellschaftliche Problemlösungen ein. Das zeigt sich besonders eindrücklich im Energiesektor. Eine erfolgreiche Energiewende als eines der größten Modernisierungsprojekte unserer Zeit ist ohne die Digitalisierung nicht denkbar. Denn die Komplexität, die durch den Umstieg auf dezentrale volatile erneuerbare Energien und die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität entsteht, ist nur über eine digitalisierte Infrastruktur zu bewältigen. Die intelligente und automatisierte Verarbeitung und Kopplung großer Datenmengen wie Wetter-, Erzeugungs-, Speicher- und Verbrauchsdaten ist die Voraussetzung dafür, das komplexe Zusammenspiel von Energieerzeugung und -nachfrage sicher und zugleich kosteneffizient zu steuern. Darüber hinaus eröffnet die digitale Energiewende zahlreiche weitere Chancen: Neue unternehmerische Geschäftsmodelle und Produktivitätssteigerungen; höhere Energietransparenz und -effizienz durch digitale Innovationen wie intelligente Stromzähler (Smart Meter) und Smart-Home-Lösungen; mehr Teilhabe und Unabhängigkeit von Bürger*innen bei der Energieversorgung durch Blockchain-Technologien.
Diesen Potentialen der digitalen Energiewende stehen in der Praxis jedoch – neben rechtlichen und technischen Fragen – auch ethische Herausforderungen und Konflikte entgegen. In unserem Projekt fokussieren wir zwei zentrale Dilemmata:
- Das für das gesellschaftliche Ziel der Energiewende notwendige gemeinschaftliche Teilen, Verwerten und Sammeln großer Datenmengen mittels digitaler Technologien steht in einem grundsätzlichen Konflikt mit individuellen Ansprüchen an (informationelle) Selbstbestimmung und Privatsphäre. Studien zeigen diesbezüglich ein fundamentales Vertrauensdefizit auf Seiten der Bürger*innen gegenüber smarten Anwendungen im Energiebereich und der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten durch die Energiewirtschaft. Als Folge sind viele Bürger*innen nicht bereit, ihre Energieverbrauchsdaten zu teilen.
- Zum anderen zeigt sich im Kontext der digitalen Energiewende aber auch ein Dilemma zwischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Datenverwertungsinteressen. Die öffentliche Bereitstellung von Unternehmensdaten (wie z.B. Messdaten, Informationen über Funktionsweise von Algorithmen) im Zeichen von „Open Data“ hat zum einen etwa das Potential, Innovationen im Energiesektor oder durch mehr Datentransparenz das Vertrauen auf Seiten der Bürger*innen zu fördern. Demgegenüber stehen zum anderen legitime unternehmerische Interessen wie etwa die Aufrechterhaltung von Wettbewerbsvorteilen oder die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen.
Wie lassen sich diese „digitalen Dilemmata“ überwinden, um das Gemeinschaftswerk Energiewende voranzutreiben? Die Beantwortung dieser Fragen steht im Zentrum der WZGE-Studie „Ethische Herausforderungen der digitalen Energiewende: Die Verantwortung der Unternehmen“, die wir mit Förderung der E.ON Stiftung durchführen. Ziel der Studie ist die Entwicklung von praxisnahen ethischen Orientierungen. Dabei fokussieren wir (1) auf die Vertrauensbildung in das Teilen und Verwerten von Daten (als grundlegende Voraussetzung für digitale Fortschritte im Energiesektor) sowie (2) auf die spezifischen Beiträge, die Unternehmen in diesem Kontext leisten sollten.
Auf dem Weg dorthin hat sich das Projekt eine Reihe von Aktivitäten zur wissenschaftlichen Fundierung auf die Agenda gesetzt. So sind zum einen im Laufe des Projekts mehrere empirische Begleitstudien geplant. Zum anderen werden Expert*innen-Interviews sowie Workshops und Dialogveranstaltungen mit verschiedenen Stakeholdern aus Energiewirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft durchgeführt.